Wunsch nach Aufarbeitung der NS-Zeit

Die Jesus-Gemeinde Frankenwald lässt zwei Experten über die Gräueltaten der Nazis in der Region zu Wort kommen. Der Bürgermeister spricht von einem Neuanfang.

Schwarzenbach am Wald - Stark bewegt zeigen sich die Besucher eines Vortrags, bei dem es um die Gräueltaten der Nazis im Frankenwald, besonders in Kulmbach, geht. Auf Einladung der Jesus-Gemeinde Frankenwald berichten der Kulmbacher Geschichtsforscher Wolfgang Schoberth und sein Freund Bernard Michaelis über ihre Nachforschungen. Schoberth beschäftigt sich schon seit Jahren mit der jüdischen Geschichte der Region und hat bereits zahlreiche Beiträge in Tageszeitungen und Fachzeitschriften verfasst. Bernard Michaelis, Apotheker in Kulmbach, hat jüdische Vorfahren. Viele seiner Verwandten sind während des Holocausts von den Nazis getötet worden.

 

Der Jesus-Gemeinde sei es ein Herzensanliegen, das Schweigen über die NS-Verbrechen im Frankenwald zu brechen, verkündet zu Beginn Pastor Ludwig Köcher. "Wir haben als Nachfahren der Tätergeneration das Privileg, Worte und Wege der Versöhnung zu finden, die unsere Väter und Großväter nicht finden konnten", erläutert er den rund 50 Gästen den Grund für die Offensive. Es gehe darum, Zeichen zu setzen gegen das Vergessen, Heilung zu erleben sowie die Wiederherstellung von zerbrochenen Beziehungen.

 

Viele der Zuhörer fühlen ähnlich: Es ist eine Sache, über die Gräueltaten des NS-Regimes in den Medien zu verfolgen - aber eine ganz andere, einem Mann Auge in Auge gegenüberzustehen, dessen Familie ermordet wurde. Mitzufühlen, wie sehr die Verletzungen trotz der vielen Jahre noch immer schmerzen und wie das Entsetzen über die Unmenschlichkeit dieser Schreckensherrschaft wieder hochkommt. Bernard Michaelis ist Nachfahre des jüdischen Schuhhändler-Ehepaars Emma und Max Michaelis aus Kulmbach. Es gehe ihm nicht um Schuldzuweisung oder gar Rache, sagt der 51-Jährige, sondern schlicht darum, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

 

Wolfgang Schoberth führt die Gäste dann per Bildpräsentation durch die jüdische Geschichte Kulmbachs, angefangen bei der kleinen jüdischen Gemeinde im Mittelalter bis hin zur Neugründung im Jahr 1903. Knapp 40 Mitglieder waren es bei der Machtergreifung Hitlers, 1941 dann nur noch sieben. Erschreckende Bilder von prunkvollen Nazi-Aufmärschen auf dem Kulmbacher Marktplatz und Hetzjagden auf Juden durch die ganze Stadt machen die Zuschauer zutiefst betroffen. Die Plassenburg wurde zur "Reichsschulungsburg", in der hohe Parteifunktionäre rhetorisch geschliffen wurden. Häufiger Gast war Julius Streicher, Herausgeber des antijüdischen Hetzblattes "Der Stürmer". Auch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels war mehrfach zu Gast. In Grafengehaig und Presseck schlossen sich Nazis zu sogenannten "Deutschen Christen" zusammen und veranstalteten in der Kulmbacher Spitalkirche "Gottesdienste", in denen sie den Namen Gottes verhöhnten. Schon die Bezeichnung "SA-Jesu Christ" zeuge von ungeheuerlicher Schamlosigkeit, betont Schoberth.

 

Anhand dreier Einzelschicksale beschreibt er die Vernichtungstaktik der Nazis. Emma und Max Michaelis wurden 1936 vertrieben, verfolgt und schließlich in die Vernichtungslager nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Max Michaelis starb 1942 , seine Frau Emma zwei Jahre später. Ihre Namen sind in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, eingraviert.



Wir werden ab sofort mit der Aufklärung der NS-Vergangenheit in unserer Stadt beginnen", sagt Schwarzenbachs Bürgermeister Dieter Frank. "Bisher ist mit Rücksicht auf die Hinterbliebenen wenig geschehen." Am Ende reichen sich Pastor Ludwig Köcher und Bernard Michaelis die Hände. "Wir wollen gemeinsam dafür kämpfen, das Schweigen im Frankenwald zu brechen", sagt Köcher, und Michaelis bedankt sich sichtlich bewegt. Jeder Ort in Deutschland sollte sich an die Aufklärungsarbeit machen, dann wären die Geister von gestern zu Grabe getragen und ein Neuanfang möglich, sagt er und verspricht, bei einem Versöhnungsfest der Jesus-Gemeinde im Frühjahr dabei zu sein.

Quelle: www.frankenpost.de
Autor: Von Sandra Meister
Artikel: http://www.frankenpost.de/lokal/naila/naila/art2443,1845828

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